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GO WEST!

Wie immer sind wir aufgeregt wenn wir für eine größere Überfahrt auslaufen. Schön war es auf La Palma - auf unserer erklärten Lieblingsinsel der

Kanaren, die zurecht Isla Bonita genannt wird! Abschied von so schönen Orten fällt uns immer schwer. Jetzt wird La Palma immer kleiner am Horizont und ist schließlich ganz verschwunden. Es sind fast 3000 Seemeilen nach Martinique und

ab jetzt gibt es nur mehr Wasser, Wind und Wellen. Wir rechnen mit mindestens drei Wochen auf See. Für die erste Woche ist uns wenig Wind vorausgesagt - na "schau ma mal" was wirklich kommt.

Wie schon Christoph Kolumbus segeln auch wir erst einmal reinen Kurs Süd - getreu dem Leitsatz , "bis die Butter schmilzt"! Dann erst werden wir nach rechts abbiegen und direkt nach Westen segeln. Der Passat sollte auf Höhe der Kapverden stetig aus Nordost wehen und den gilt es zu finden und für unsere große Überfahrt zu nutzen!

An Backbord liegt nun circa 200 Seemeilen entfernt die Afrikanische Küste, nach einem Tag auf See werden wir mit der knallharten Realität dieser Weltgegend konfrontiert: Über Navtex bekommen wir eine dringliche SAR (Search and Rescue)-Meldung: "Migrant boat with unknown number of persons on board, drifting on position 26*26.9 N / 017*53.8 W - boats in the vicinity are requested to keep a sharp lookout and to report any sightings to MRCC Las Palmas". *schluck* Diese Position liegt direkt auf unserem Kurs und nur 7 Seemeilen von uns entfernt. Und dann auch schon ein direkter Anruf über UKW Kanal 16 von MRCC Las Palmas an uns: "Sailing vessel Stravanza, in your vicinity is a drifting migrant boat, they are drifting north. Keep a sharp lookout and report to MRCC Las Palmas!"

In unserer unmittelbaren Nähe befinden sich ausser uns noch ein Tanker und ein Frachtschiff. Diese beiden Dickschiffe werden von der Küstenwache beordert, ihren jeweiligen Kurs zu ändern: Das Frachtschiff muss sich an die Position des Flüchtlingsbootes begeben, der Tanker wird angehalten den selben Kurs zu fahren, den das Boot vermutlich gerade driftet. Die beiden Skipper dieser Schiffe klingen am Funk "not amused", ändern aber ihre Kurse um jeweils 180 Grad und reduzieren ihre Geschwindigkeit. Am AIS können wir das sehr gut verfolgen. Wir kleines Segelschiff dürfen unseren Kurs weiter halten.

Dann kommt die Meldung, dass von Las Palmas aus ein Suchflugzeug und ein Rettungsboot der spanischen Coast Guard gestartet sind, dieses Boot wird in 80 Minuten an der vermuteten Position sein. Wir schauen uns die Augen aus dem Kopf. Es ist ein absolut besch......es Gefühl diese armen Menschen da draußen zu wissen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kommt die erlösende Nachricht: Das Boot wurde gefunden, alle Insassen konnten abgeborgen werden und sind auf dem Weg nach Las Palmas. Erleichtert, dass die Sache vorerst gut ausgegangen ist, segeln wir in die Nacht. Wie viele Boote driften an den Inseln vorbei und werden nie gefunden? Was tun, sollten wir tatsächlich direkt auf so ein Boot treffen? Diese Gedanken lassen uns lange nicht los. Und auch eine Art schlechtes Gewissen beschleicht uns: Wir segeln hier zum Vergnügen, haben genügend Lebensmittel und Wasser an Bord, unser Boot ist seetüchtig und wir führen ein Luxusleben, während gleich daneben Mitmenschen ums Überleben kämpfen.

Die ersten Fliegenden Fische landen an Deck - ein sicherer Indikator, dass wir ein gutes Stück nach Süden gekommen sind. Der Wind aber hält sich an seine Prognose und bleibt sehr schwach. Widerwillig motoren wir zweitweise sogar - nur um weiter zu kommen und den Passat zu erreichen. 

 

 

Wir holen den Spinnacker heraus.

Er zieht uns gemächlich, hängt aber recht oft auch eher lustlos da vorne herum - ihm ist das auch zu wenig Wind. 

Auch ohne Wind gibt's hohe Dünung, die uns ohne Fahrt im Schiff, ganz schön rollen lässt. Der Spi schwingt wie ein Riesenvorhang schön mit, verheddert sich im Rigg und bekommt einen Riss ab. Also heraus mit dem Spi-Tape! Das können wir locker kleben! Aber leider, leider hält die Reparatur unter Windbelastung nicht und unser armer Spi löst sich immer weiter auf... Das war's dann vorerst einmal mit einem Leichtwindsegel auf der STRAVANZA. Na ja....

Mittlerweile sind wir "schon" - nach fast 10 Tagen (!) bei den Kapverden. Als Schmelzindikator hält bei uns die Schokolade her und die schmilzt schon, also ab mit ihr in den Eiskasten, zur Butter. ;-)

Aber der Passat ist hier nicht zu finden, wir nehmen trotzdem Kurs West und zuckeln weiter. Endlich, nach 11 Tagen auf See, stellt sich so etwas wie der Passat ein und wir düsen dahin! Schön! Die Welle baut sich auf und bekommt hübsche, weiße Kämme, der Ozean nimmt ein unglaubliches Blau an und STRAVANZA hebt knapp vor jeder Welle brav ihren Popo und düst die Wellen sanft hinunter. Die Windfahne steuert, wir sitzen bei Kaffee und Muffins im Cockpit und genießen herrliches Downwind-Segeln! So muss das sein! Endlich!

Plötzlich ein lautes Prusten neben uns - Orcas! Fünf oder sechs riesige Tiere sausen um uns herum, kommen uns so nahe, dass wir sie berühren könnten wenn sie knapp an unserem Rumpf ihre Rücken aus dem Wasser heben. Sie sind riesig! Einer ist fast so lang wie die STRAVANZA! Und wie schnell die schwimmen! Messerscharf sehen wir ihre Rückenflossen in einem Affentempo durchs Wasser zischen, immer wieder direkt auf uns zu. Im letzten Moment erst tauchen sie unter uns durch, benehmen sich wie Delfine, schwimmen am Rumpf mit, drehen sich auf die Seite um uns anzusehen, springen neben uns und im Kielwasser der STRAVANZA hoch aus dem Wasser und schauen sich immer wieder unser Ruder an ...

Werden sie uns eh nichts tun, uns rammen, vom Ruder kosten, die Windfahne anstupsen und verbiegen? Mir klopft das Herz bis zum Hals. Die Tiere bleiben lange in unserer Nähe und haben anscheinend ihren Spaß mit uns, fügen uns aber keinerlei Schaden zu! Und schließlich verschwinden sie so plötzlich wie sie davor neben uns aufgetaucht sind. Meine Nerven beruhigen sich wieder. Robert meint, er war sich die ganze Zeit sicher, dass sie uns nichts tun würden, ich hatte da so meine Zweifel! Vor allem in jenem Moment, als die zwei mächtigsten Tiere in einer Art Zweierformation wie zwei Torpedos auf uns zu schossen - mit einer Riesenbugwelle vor der Nase. Eine echte Wahnsinnsshow, die uns die Orcas hier geboten haben. Wer hier draußen die Chefs sind, ist jetzt auch geklärt.

Weiter geht es mit mittlerweile schönem, stetigem Wind, die Tage verschwimmen  ineinander. Waren die Orcas gestern da oder war das schon vor drei Tagen? Die Welt besteht für uns nur aus unserer Scheibe Wasser von circa sieben Seemeilen bis zum Horizont, Wind, meist blauem Himmel und unzähligen Wellen. Wir

kochen, backen Brot und Muffins, stellen unser Joghurt selber her. Nach zehn Tagen haben wir kein frisches Obst mehr, nur ein paar mehlige Äpfel liegen in der Kombüse, die in eine Apfeltarte wandern. Wir beide "treffen" uns fast nur zu den Mahlzeiten, einer von uns ist immer in der Koje oder hält im Salon ein Schläfchen.

Nachts versende ich per Pactor Position Reports und E-Mails an Freunde und Familie und funke mich um den Globus. Als Maritime Mobile Station (und noch dazuweiblich) bin ich ein begehrter Kontakt für viele Funkamateure. MitLandstationen habe ich daher viel Kontakt, bedauerlicherweise aber mit keinen segelnden Funkamateuren. Wir sind anscheinend eine aussterbende Spezies.Starlink ist auf dem Vormarsch und auch wir werden daran wohl nicht vorbei kommen. Robert lädt in seinen Nachtwachen mit dem Pactor Wetterberichte herunter.

Eines Nachts wieder eine Schrecksekunde: der Sicherungsautomat zum Einschalten des Amateurfunkgeräts bricht. Unsere Nabelschnur zur Welt - und vor allem zu Wetterberichten - lässt sich nicht mehr aufdrehen und wir haben keinen Ersatz für den Automaten an Bord. Robert verbringt einen Tag unter dem Navitisch, "hängt alles um" und die Sache "funkt" wieder. Ich bin immer schwer beeindruckt, was mein Skip alles reparieren kann. Im Falle, dass wir es nicht wieder hinbekommen hätten, hätten wir Wetterberichte nur mehr über das InReach einholen können, was nicht optimal gewesen wäre, zum Glück

bleibt uns das erspart. Nach dem Motto "irgendwas muss immer sein", spinnen ein paar Tage später die Trenndioden und die Lichtmaschine lädt nicht mehr. Zum Glück bemerken wir den Schaden bevor der Wassermacher die Batterien komplett ausgesaugt hat. Das müssen wir uns anschauen wenn wir wieder an Land sind. Ab jetzt heißt es jedoch immer sehr genau beobachten, ob wir Strom laden, wenn der Motor rennt! Irgendwas muss ja immer sein ....

Natürlich angeln wir auch die ganze Zeit! Es gehen uns zwei kleine Mahi Mahis an den Haken - in idealer Größe für jeweils zwei Abendessen. Dann fangen wir einen wirklich Großen und sind einen Tag lang beschäftigt den schönen Fisch zu verarbeiten. Die nächsten Tage gibt es Fisch in allen Variationen und es bleibt noch genug, um zwei Gläser "in saor" einzulegen.

Über Funk erreicht uns die traurige Nachricht, dass bei der ARC, die parallel mit uns über den Atlantik segelt, auf einer österreichischen Yacht ein junger Schwede über Bord gegangen ist und nicht mehr gefunden werden konnte. Schrecklich. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, was sich da abgespielt haben muss, wir ermahnen uns gegenseitig, immer vorausschauend zu agieren und unsere Westen zu tragen - vor allem nachts! Sollte einer von uns über Bord gehen, würden zwar die in unsere Westen eingebauten Personal AIS Notsender einen Alarm auslösen, aber als Einzelperson ein erfolgreiches POB-Manöver zu fahren ist sehr, sehr schwierig, wenn nicht sogar aussichtslos.

Dann scheuert sich das Großfall fast durch, was ja auch kein Wunder ist, hängt es schließlich seit fast drei Wochen in seiner Rolle immer in der selben Position. Wir bemerken das nur, weil wir in einer Flaute, genervt vom ewigen Schlagen des Segels, das Großsegel komplett bergen. (Bisserl Glück muss ja auch sein …) Das Fall bekommt einen neuen Spleiß und ist wieder wie neu, Robert packt das Spleißfieber und er verpasst auch gleich den Backstagen schöne neue Spleiße.

Ich habe in La Palma Wolle gekauft und stricke derweil an einem schönen warmen Winterpullover für Tochter Anna. So hat ja jeder seine Handarbeit und seinen Zeitvertreib.

Einen Tag lang nutzt ein imposanter, weißer Vogel uns als Mitfahrgelegenheit. Er sitzt entweder auf dem eingeholten Großsegel oder auf dem Bimini und kackt - dort wie da - alles voll. Egal, wir finden's nett Besuch an Bord zu haben, auch wenn er sich eher nicht benehmen kann.

Sollte jemand unserer geschätzten Leser*innen wissen, was das für ein Vogel ist, freuen wir uns über die Info! Ich konnte ihn nach einer Suche im Netz nicht eindeutig zuordnen.

Irgendwann haben wir dann Bergfest - ab jetzt geht es bergab, trotzdem sind es immer noch rund 1500 Seemeilen, die zwischen unserem Bug und unserem Ziel liegen. Es stellen sich Gelüste auf nicht Vorhandenes ein: zum Beispiel auf ein eiskaltes, kohlensäurehaltiges Getränk, sowas wie Mineralwasser. Da war doch noch irgendwo ein Tonic vom Törn mit Yvonne, die uns immer Gin Tonics zum Sundowner gemixt hat? Wie eine Süchtige räume ich die Bilge aus und werde fündig. Robert lacht und bekommt deshalb nichts von meinem schön gekühlten Schweppes! Aaahhh, wie das prickelt!

 

Schön langsam gehen uns beiden die heruntergeladenen Kindle-Lese- und Hörbücher aus. Selbst Master und Margarita auf Russisch (ein oft begonnenes Projekt) hab ich bereits durch. Es wird langsam Zeit, dass wir in Martinique ankommen.

 

Immer wieder sehen wir auf dem AIS Segelboote in unserer Nähe. Mit den meisten tratschen wir ein bisschen am Funk, zwei Boote kommen uns so nahe, dass wir uns gegenseitig aus nächster Nähe filmen und fotografieren können. Wir tauschen Mailadressen aus und das Versprechen, uns gegenseitig die Aufnahmen zu senden.

 

Und dann kommt über Kanal 16: "Stravanza, Stravanza! Ist dort Robert Schnabl an Bord?" Wie bitte? Wer ist denn das? Es stellt sich heraus, dass hier, mitten auf dem Atlantik, Thomas neben uns segelt! Er war mit uns in der Bretagne unterwegs und skippert jetzt im Rahmen der ARC, eine Hanse 57 über den Atlantik. Da soll noch einmal wer sagen, dass die Welt kein Dorf ist!

Während wir kochen, backen, schlafen, funken, lesen, stricken, bei Nacht Sterne zählen und tagsüber den Wellen zuschauen, segelt STRAVANZA unter Windfahne unermüdlich vor sich hin und kurbelt eine Seemeile nach der anderen ab. Im letzten Drittel der Strecke wird der Wind wieder launisch. Noch dazu ziehen immer wieder heftige Regenböen über uns hinweg - die gefürchteten Squalls, die zeitweise Starkwind bringen. Ein paar Tage lang segeln wir deshalb - vor allem nachts, im zweiten Reff und nur mit Fock. So können wir plötzlichen Windeinfall von bis zu 40 Knoten besser abwettern. Zwischen den Squalls sind wir so zwar ein bisserl langsamer, aber dafür weniger gestresst. Eine Nacht lang schlängeln wir uns durch Gewitterfronten durch. Links und rechts zappen die Blitze runter. Schaurig schön und zum Glück weit genug weg.

Jeden Tag geht die Sonne dramatisch schön an unserem Heck auf und vor dem Bug unter. Es wird nie langweilig zuzusehen. 

Von zu Hause erreichen uns Nachrichten wie, "waren am Christkindlmarkt", "erster Schnee im Anmarsch", "am Freitag gemma unsere erste Skitour"... Alles schwer vorstellbar im Moment für uns! Bei uns wird es immer wärmer, nachts stehen Millionen Sterne am Firmament und seit den Kapverden ist der Mond eine liegende Sichel und steht nicht mehr senkrecht. Das gehört sich so auf dieser südlichen Breite. Die übrige Welt ist ganz weit weg. Allerdings machen auch wir jeden Tag ein Türchen am Adventkalender auf - immer abwechselnd.

Der Mond ist im Zunehmen und "bei fast wieder Vollmond", haben wir nur noch unter 300 Seemeilen zu segeln. Jetzt fühlt es sich wirklich so an, als wären wir bald da. Auch auf der Seekarte ist unsere tägliche Position bereits mehr sehr weit "hüben als drüben" - wir sind der Karibik viel, viel näher als Afrika! Auch die Bordzeit mussten wir schon das vierte Mal umstellen! Wir haben jetzt UTC-4Std. 

Die letzten zwei Tage wird unsere Geduld hart auf die Probe gestellt: Absolute Flaute...  Der Ozean ist so spiegelglatt, dass sich in der Nacht sogar die Sterne ihn ihm spiegeln... 

Absolute Flaute!
Absolute Flaute!

Nach 24 Tagen auf See, kommt im letzten Abendrot dieser Überfahrt, endlich "Land in Sicht"! 

Land in Sicht!
Land in Sicht!

Gemächlich motoren wir durch die Nacht auf die kleinen Lichter der Karibischen Insel Martinique zu, um früh am Morgen in die Bucht von Saint Anne einzulaufen. Robert grinst mich an: "Heast Smali, wir haben's geschafft, wir sind noch einmal über den Atlantik gesegelt!" Ich kann nur nicken. Unser Anker fällt auf fünf

Meter Wassertiefe, der Nachbar winkt mit dem Kaffeehäferl in der Hand herüber und hebt einen Daumen! Wir winken zurück, machen uns auch einen Kaffee und schauen erst einmal nur in Richtung der Palmen am Strand.