Der Wetterbericht hat uns für die 35 Seemeilen nach A Coruna 15 kn aus NE versprochen, bekommen haben wir Flaute, Nieselregen und schlechte Sicht - also motoren wir. Ich mag es schon gar nicht mehr schreiben, aber auf cirka halber Strecke, ertönt der Motoralarm und das Ladekontrolllamperl blinkt wild und unaufhörlich vor sich hin - was es nicht tun sollte. Aso, Motor aus und schauen was los ist. Zum Glück kommt gerade genug Wind auf und wir können von der Küste wegsegeln. Auf den ersten Blick können wir keinen Fehler finden - die Lichtmaschinen laden ganz eindeutig, Ölstand ist normal, Motor läuft rund, Alarm und Ladekontrolle melden jedoch weiter "es ist was hin"....? Mit dem bisserl Wind können wir bis vor die Marina in A Coruna segeln und für das Anlegemanöver benehmen sich das Lamperl und der Alarm wieder. Alles sehr seltsam... Natürlich werden wir der Ursache nachgehen müssen - jedoch nicht heute! Denn es ist Sonnenwende und das feiern die Galizier mit dem San Xuan Fest. Ganz A Coruna ist eine Festarena mit Aufmärschen, Tanz, Musik und Grillerei in den Straßen der verwinkelten Altstadt.
Wir stürzen uns ebenfalls ins Getümmel, lassen und durch die Gassen treiben und vergessen die unerklärlichen Alarme ganz schnell. Jetzt ist einmal Genießen angesagt! In Schlemmerlaune landen wir in einer Jamoneria, besser gesagt einem "Schinkenschlaraffenland. Unzählige Jamons hängen in allen Reifegraden von der gewölbten Decke und wir schlagen uns hemmungslos den Bauch voll mit galizischen Köstlichkeiten.
Leider versäumen wir die Strandfeuer zur Sonnenwende, weil es zu nieseln beginnt, aber auch unmöglich ist, in diesen Menschenmassen zum Strand vorzudringen. Auch der Rückweg zum Hafen gestaltet sich als schwierig, es ist einfach kein Durchkommen durch diese tanzenden und feiernden Menschenmassen! Oder sind wir für solches Gedränge schon ein bisserl zu alt? Jedenfalls verziehen wir uns zu später Stunde ins Leo auf die Stravanza. Musik und Rauch von den Feuern dringen bis zum Morgen aus der nahen Altstadt bis zu uns an Bord durch.
Nach einem Frühstück im Cockpit in Shorts und T-Shirt - wie schön, hatten wir lange nicht mehr!, messen wir den ganzen Tag lang auf der Stravanza alle Kabel durch, starten gefühlte hundert Mal die Maschine. Egal was wir machen, Ladekontrolle und Motoralarm gehen nicht aus. Es kommt die Vermutung auf, dass es sich um einen Fehlaram handelt, sind uns aber nicht sicher. Klar ist jedoch, dass dass wir uns mit diesem Problem nicht auf den Weg zu den Azoren machen wollen. Jetzt muss ein Fachmann her! Also verlegen wir uns an den Steg des Volvo Penta Services in einem Vorort von A Coruna. Ein Bootselektriker bestätigt unsere Vermutung. Es ist alles ok, wir brauchen "nur" ein neues Bedienpanel. Leider muss das Teil bestellt werden und kommt erst in 2 - 3 Tagen. Das passt aber ganz gut, denn an ein Auslaufen ist im Moment eh nicht zu denken, erst in 3 Tagen wieder wenn ein Islandtiefausläufer durchgezogen ist. Unser Teil kommt sogar schon nach zwei Tagen an, wird eingebaut und pünktlich zum Start des allerbesten Wetterfensters nach dem Tief, sind wir um ein paar Euro leichter aber startklar für die 900 Seemeilen lange Passage zu den Azoren. Jetzt haben wir auch schon ein wenig Zeitdruck, weil in einer Woche wird Anna auf Terceira landen und erwartet, dass wir dort im Hafen liegend auf sie warten!
Für diese Passage sind wir kulinarisch gut vorbereitet, es ist alles an Bord und für die ersten Tage haben wir vorgekocht: Gemüsetarte für zwei Mittagessen, viele zuckersüße Muffins für die langen Nachtwachen und eine dicke Minestrone, die locker für vier Abendessen reichen wird. Ich bin immer aufgeregt wenn es hinaus geht in die erste Nacht auf See und in den ersten Tagen auf See habe ich nicht viel Appetit, aber mein Skipper kann immer essen und da ist es gut, wenn schon was da ist.
In der ersten Nacht steigert sich meine Aufregung auch noch als wir natürlich bei einsetzender Dunkelheit (wann sonst?) das dicht befahrene Verkehrstrennungsgebiet vor dem Kap Finistere erreichen. Als Segelboot muss dieser Bereich auf dem schnellsten Weg - am besten im rechten Winkel, durchfahren werden. Auf dem AIS fahren viele bunte Dreieckerln in geordneten Reihen dicht an dicht wie auf einer Autobahn nach Nord oder Süd. Jedes Dreieckerl ist ein Tanker oder Frachtschiff mit mindestens 10 Knoten Geschwindigkeit. Gerade als wir in den Bereich einfahren wollen, dreht der Wind und nimmt zu, Stravanza segelt unter Windfahne und biegt - brav dem Wind folgend, ab. Plötzlich sind wir quasi auf dieser maritimen Autobahn als Geisterfahrer gegen die Fahrtrichtung unterwegs und in der Sekunde tönt es aus Kanal 16: "sailing vessel Stravanza, sailing vessel Stravanza, sailing vessel Stravanza - you are entering the Seperation Traffic Zone incorrectly, I repeat INCORRECTLY (noch lauter) and YOU HAVE NO PERMISSION TO DO THAT (sehr, sehr laut)!" Der Diensthabende ist nicht sehr happy mit meiner Erklärung, dass wir unter Segel sind und das Gebiet nicht im rechten Winkel durchfahren können, aber er akzeptiert den Kurs, den ich ihm nenne. Ab diesem Zeitpunkt stehe ich mit Finistere Traffico in permanentem Funkkontakt und muss jede Kursänderung ankündigen. Es ist nervenaufreibend uns zwischen den Riesenpötten durchzuschlängeln. Immer wenn einer durch ist, segeln wir schnell hinter seinem Heck durch, bevor der nächste kommt. Mein Funkpartner ist hörbar erleichtert als wir den Bereich nach mehreren Stunden verlassen - wir auch!
Sobald wir das Verkehrstrennungsgebiet hinter uns gelassen haben, geht es ruhig dahin. Wind und Welle kommen sanft von hinten und wir halten direkt auf die Azoreninsel Terceira zu - noch cirka 800 Seemeilen "to go". Meine Funkfreunde von Intermar melden, dass es laut Wetterbericht in dieser Manier weitergehen wird und wir wohl eine Traumpassage vor uns haben. Die QSOs (Gespräche über Amateurfunk) mit Intermar und anderen Funkfreunden rund um den Globus, verkürzen mir die Nachtwachen und geben das Gefühl nicht ganz allein hier draußen zu sein. Wir können über Amateurfunk E-Mails versenden und informieren unsere Familie auf diese Weise jeden Tag über die aktuelle Position der Stravanza und, dass an Bord alles OK ist. Über das Pactormodem können wir noch dazu Wetterkarten herunterladen. Manche mögen das altmodisch finden, wir schätzen diese altbewährte Technik jedoch sehr.
Die Tage auf See gestalten sich angenehm und ruhig. Wir kommen gut voran. Manchmal bleibt der Wind leider komplett weg und wir motoren ein Stückchen, weil wir ja einen Termin haben. Stravanza läuft wieder einmal unter Motor und Autopilot, ich sitze im Cockpit und mache mir Notizen für diesen Blog. Gerade als ich denke "und bis jetzt mussten wir keinen Schraubenzieher in die Hand nehmen", ertönt - ohne Schmäh! - ein zartes biiiiiiiiep und der Autopilot biegt unautorisiert scharf nach links ab. Ich streiche diesen Gedanken wieder - wäre ja auch zu schön gewesen! Die Fehlersuche ergibt, der Stössel vom Hydraulikzylinder des Autopilots ist vom Ruderquadranten gesprungen - klingt kompliziert, heißt aber nichts anderes, als dass Autopilot und Ruder nicht mehr miteinander verbunden sind. Es ist aber zum Glück nichts verbogen oder kaputt gegangen und wir können die beiden wieder miteinander verbinden. Dazu hängen wir beide eine zeitlang kopfüber in der Bilge hinter dem Steuerrad.... Es gibt keine Fotos von dieser Aktion und auch keinen weiteren Kommentar dazu...
Viel mehr Aufregung gibt es Gott sei Dank dann nicht mehr. Nur noch einen französischen Segler, dessen Licht schon seit einiger Zeit auf uns zukommt, aber weder ein Radar- noch AIS-Signal auf dem Bildschirm zu sehen ist. Als er schon sehr nahe ist, greife ich zum Funkgerät und rufe ihn an. Zugleich mit meinem Anruf, ist auf einmal sein AIS Signal da und er antwortet etwas verschlafen."I will avoid you, you are bigger." Ich bedanke mich und wir wünschen uns gegenseitig eine gute Wache. Das sind nette Abwechslungen in einer langen Nacht.
Wir erleben herrlich ruhige Tage und Nächte auf See. Ein Pottwal kreuzt gemächlich unseren Kurs - erkennbar an seinem Blas, der schräg nach vorne gerichtet ist, weil sein Atemloch seitlich versetzt und nicht wie bei anderen Walen und Delfinen in der Mitte auf dem Kopf ist.
In der letzten Nacht reduzieren wir die Segel damit wir nicht bei Nacht einlaufen müssen. Nach sieben Tagen und Nächten auf See laufen wir sehr entspannt in Praia da Vittoria auf der Azoreninsel Terceira ein. Der Anker fällt im gut geschützten Hafen und wir sind überrascht wie warm es hier ist. Nach all der Zeit in kälteren Gegenden schwitzen wir ganz schön. Daunenjacken, Merinozeugs und Stiefel sind eingeschweißt und weggepackt. Wir sind im Sommer gelandet - ein Sprung ins kalte Nass vom Heck der Stravanza bringt herrliche Abkühlung! Und rechtzeitig für die Ankunft unserer Tochter sind wir auch angekommen!
Stay tuned!