Eigentlich sollte es nur ein kurzer Zwischenstopp auf den Vestmannaeyjar Inseln sein, damit die ca. 600 Seemeilen nach Schottland ein bisserl kürzer werden. Aber wie das so ist bei der Segelei, kommt's oft anders als man denkt. Den Zeitplan bestimmt hier nun einmal einzig und allein das Wetter und das war vorerst einmal "gegen" uns. Alle Wettermodelle waren sich einig: Wind bis zu 40 Knoten aus der Richtung in die wir wollen - direkt aus Schottland. Da bleiben wir lieber im Hafen. Aus dem kurzen Zwischenstopp wird eine ganze Woche!
Anfangs sind wir ein bisserl stinkig, dass wir nicht doch in Reykyavik geblieben sind und die Woche jetzt hier ausharren müssen. Sehr schnell entfaltet sich uns aber der Charme der Vestermannayer. Am Schluss ist uns die Zeit sogar noch zu kurz geworden!
Schon die Ansteuerung des Archipels gestaltete sich einzigartig. Im Morgengrauen segeln wir an der Inselgruppe Thridrangar vorbei. Auf einer der beeindruckenden Felsnadeln steht das unerreichbare Thrithranger Lighthouse. Spektakulär.
Nur ein paar Meilen südlich der Thridrangar findet sich die jüngste Insel der Erde - Surtsey. Sie ist mein Jahrgang und damit erst 60 Jahre jung! Wie schön, dass man in diesem Alter noch "das Jüngste" von etwas sein kann! Eines schönen Tages im November 1963 bemerkten Fischer Rauch und Qualm am Horizont. Sie nahmen an, dass ein Fischerboot Feuer gefangen hat und eilten zur Hilfe. Bei Annäherung an die Stelle wurde jedoch schnell klar, dass das Wasser "kocht" und offensichtlich ein Unterseevulkan ausgebrochen ist. Nach ein paar Wochen Vulkantätigkeit war eine neue Insel geboren. Surtsey ist ein Juwel für Geologen, Biologen, Vulkanforscher, etc. und wird intensiv beforscht. Sie darf nur von Wissenschaftlern betreten werden und wir müssen einen Abstand von 10 Seemeilen zu ihr einhalten.
Die Hafeneinfahrt von Heimaey raubt uns den Atem. Es steht eine alte Dünung, stampfende Wellen, gefühlte Ewigkeiten ist von einer Einfahrt nichts zu sehen, nur steile Felsen auf die wir direkt zusteuern. Dann tut sich eine enge Felsspalte auf und ein kleiner am Felsen angebrachter Richtungspfeil, weist uns den Weg. Wir sind sehr dankbar, dass an diesem Morgen fast Windstille herrscht und zwängen uns zwischen dem hohen Felsen auf der einen und einer erstarrten Lavaformation auf der anderen Seite durch - und befinden uns plötzlich in einem unglaublich schönen Naturhafen. In diesem Augenblick bricht die Sonne durch die Wolken und wir sind wieder einmal sprachlos ob der gebotenen Dramatik. Wir sind in Heimaey - auf den Vestmannaeyjar - berühmt für einen fürchterlichen Vulkanausbruch in den 1970ern.
Ich erinnere mich dunkel, als ich cirka 10 Jahre alt war, sehe ich gemeinsam mit meinem Vater im Fernsehen Bilder, die einen Vulkanausbruch zeigen und viele Menschen auf wild schaukelnden Schiffen, die aus einem Hafen hinaus fahren. Verängstigt frage ich meinen Vater, ob so etwas auch bei uns passieren kann, er lächelt, beruhigt mich, dass es bei uns schon lange keine Vulkane mehr gibt und unser Zuhause nicht von Asche verschüttet werden kann.
Oft musste ich an diese Bilder denken, wenn wir auf Vulkaninseln waren und über Lava und Aschefelder stolperten. Ich habe mich immer gefragt, um welchen Vulkanausbruch es sich damals handelte. Jetzt weiß ich es. Denn genau diese Bilder aus meiner Erinnerung sind im Eldheimar Museum, das den Ausbruch des Eldfell auf Vestmannaeyjar vom Jänner 1973 dokumentiert, zu sehen. Es durchfuhr mich heiss als ich diese Bilder im Museum sah und für den Bruchteil einer Sekunde war ich wieder das kleine Mädchen, das mit seinem Papa die Nachrichten im Fernsehen sieht. Wie gerne würde ich meinem Vater von diesem Erlebnis erzählen. Er hätte sich bestimmt daran erinnert.
Das Eldheimar Museum zeichnet großartig nach, was hier im Jänner 1973 los war. Gleich hinter Heimaey, dem Hauptstädtchen des Archipels brach völlig überraschend mitten in der Nacht der Vulkan Eldfell aus. Am Tag vor dem Vulkanausbruch tobte ein Orkan und deshalb befanden sich alle Fischerboote im Hafen. Nur diesem Umstand ist es zu verdanken, dass niemand durch den Vulkanausbruch gestorben ist. Alle Einwohner der Insel konnten evakuiert und nach Reykyavik in Sicherheit gebracht werden. Erst nach 5 Monaten konnte der Großteil der Bevölkerung wieder nach Vestmannaeyjar zurückkehren.
Dieses Ereignis hat nicht nur die Insel landschaftlich verändert, sondern sitzt tief im Bewusstsein der Bewohner. In fast jedem Gespräch mit Einheimischen kommt schon nach ein paar Sätzen der Vulkanausbruch zur Sprache und wir erfahren wie alt unsere jeweilige Gesprächspartner*in bei diesem Ereignis war oder wie die Eltern und Großeltern die Katastrophe erlebt haben. Egal, ob im Hot Pot im Sundlaug, in der Bäckerei, beim Spaziergang durch die Lavafelder oder beim Kauf von Motoröl im Baumarkt - immer kommt es auf das Thema zurück. Für uns sind diese Geschichten gelebte Geschichte!
Der Vulkanausbruch ist auf der Insel und in der Stadt allgegenwärtig. Durch den Ausbruch ist ein neuer Berg entstanden und die Insel selber hat sich gewaltig vergrößert. Deutlich ist zu erkennen bis wohin die Lava in die Stadt geflossen ist bevor sie zum Stillstand kam. Cirka 400 Häuser samt Schwimmbad wurden bis zu 14 m tief unter Lava und Asche begraben. Positiv war, dass der Hafen der Insel seit dem Ausbruch wesentlich besser geschützt ist weil eine Lavawand die Einfahrt zu einem spektakulären Trichter verengt hat.
Spannend sind die Geschichten, die uns erzählt werden. Noch während der Vulkan Asche und Feuer spuckte, kehrten viele männliche Inselbewohner auf die Insel zurück um den Fischereihafen und die Fischfabrik am Laufen zu halten. Die Lava drohte die Hafeneinfahrt komplett zu verschütten, was Reykyavik bereits seine Fühler nach der Fischereifangquote der Vestmannaeyjar ausstrecken ließ. Der Verlust des Hafens und der Quote wären das Aus für die Lebensgrundlage auf Vestmannaeyjar gewesen. Dies galt es mit allen Mitteln zu verhindern. Also wurde gefischt und in der Fischfabrik gearbeitet, als wäre nichts passiert. In einer unglaublichen Kraftanstrengung konnte sogar der Lavafluss umgelenkt werden, indem er wochenlang mit kaltem Meereswasser bespritzt wurde. Die Verschüttung des Hafens wurde verhindert. Nach fünf Monaten beruhigte sich der Vulkan und zwei Drittel der Inselbewohner kehrten zurück, schaufelten tausende und tausende von Tonnen Asche aus den Straßen und Häusern, bauten neue Häuser und nahmen ihr Leben auf Vestmannaeyjar wieder auf.
Diese gemeinsame Anstrengung und Solidarität ist bis heute sehr deutlich in den Begegnungen mit den Menschen der Insel zu spüren. Das vermittelt uns vor allem unsere Begegnung mit Olafur. Stolz erzählt er uns, dass sein Vater unter jenen Männern war, die zwei Tage nach dem Ausbruch auf die Insel zurückkamen um die Insel zu retten. Er selber war sieben Jahre alt und kann sich ganz genau an die Feuerwand hinter der Stadt und die wilde Fahrt übers stürmische Meer erinnern.
Wir lauschen gespannt seinen Erzählungen - nicht nur über den Vulkanausbruch und den Zusammenhalt der Bewohner von Vestmannaeyjar, sondern auch über Engagement im Naturschutz - z.B. gegen die Ausbreitung eingeschleppter Pflanzen, die die Flora der Insel bedrohen. Wir treffen ihn bei einer Wanderung mitten in den Lavafeldern, als er gerade Düngerbarrieren gegen die Lupinie ausbringt, die das auf der Lava wachsende Moos zu verdrängen droht. Hier soll sich die Lupinie nicht ausbreiten, an anderen Ecken der Insel findet Olafur sie sehr schön, aber hier gehört die Lupinie nicht her. Aus ihm spricht so viel Enthusiasmus und eine tiefe Verbundenheit zu seiner Insel, dass ich sogar jetzt noch beim Schreiben dieser Zeilen Gänsehaut verspüre.
Begeistert erzählt er uns weiter, dass auf Vestmannaeyjar jedes Jahr der "Puffin Run" stattfindet - ein Halbmarathon, der mit jedem Jahr mehr und mehr internationale Läufer und Publikum anlockt. Am 04.05.2024 wird der "Puffin Run" wieder stattfinden. Wer also noch ein Trainingsziel samt exotischer Destination für 2024 sucht, dem sei der Puffin Run ans Herz gelegt!
Natürlich besteigen wir den alten und den neuen Vulkankegel der Insel. An vielen Stellen des neuen Kegels dampft es noch warm aus Felsspalten heraus und es riecht nach Schwefel. Der Wanderpfad auf den hohen Felsen gegenüber der Hafeneinfahrt entpuppt sich als luftige Kletterpartie mit Seilen, steilen Leitern und ausg'setzten Stellen, erinnert uns an versicherte Steige im Höllental mit dem Unterschied, dass die Aussicht über den Ozean bis zum Horizont reicht.
Von allen Gipfeln haben wir wunderbare Ausblicke auf den Hafen von Heimaey und hinüber ans "Festland". Wieder einmal können wir den größten Gletscher Europas, den Vatnajökull bewundern - diesmal von Süden. Ihm wird nachgesagt, dass er derzeit der ruhigste unter Islands Vulkanen ist. Ganz anders dagegen ist seine Nachbarin, die Hekla ziemlich aktiv und steht unter ständiger Kontrolle. Es wird davon ausgegangen, dass die Hekla bald einmal ordentlich spucken wird.
Beeindruckend, dass selbst mittelgroße Kreuzfahrtschiffe diesen engen Hafen ansteuern. Sie werden mit zwei Schleppern gesichert und laufen unter lautem Abspielen von Wagners "Ritt der Walküren" in den Hafen ein. Ein Wahnsinnserlebnis für die Passagiere und was für ein Husarenstück des Steuermanns auf der Brücke! Respekt!
Uns beschäftigt aber nicht nur die Geschichte der Vestmannaeyjar, sondern wir beobachten akribisch die Wetterentwicklung für die Überfahrt nach Schottland. Wir sind nicht allein. Zwei weitere Yachten mit dem selben Plan liegen im Hafen. Gemeinsam sitzen wir stundenlang in der Bäckerei am Hafen, die neben supergutem W-Lan - unbedingt notwendig für die Wettervorhersage, auch sensationellen Espresso und sagenhafte Zimtschnecken zu bieten hat. Wetterroutingmodelle werden im Stundentakt intensiv studiert und diskutiert. Wir kommen alle zum selben Ergebnis, dass es weiter Warten heißt... So gibt es gegenseitige Einladungen zum Sundowner und Abendessen und wir verbringen sehr nette Zeiten miteinander.
Vor allem Guenola und Charly von der MIGALOO beeindrucken. Sie kommen aus der Bretagne, haben trotz ihres jungen Alters bereits etliche Ozeanpassagen hinter sich und engagieren sich sehr im Wal- und Umweltschutz. Dazu nehmen sie Wissenschaftler auf ihre Fahrten mit, damit diese mit ihnen gemeinsam alle möglichen relevanten Daten sammeln können. Sie dokumentieren Walsichtungen, messen den Planktongehalt der Seegebiete, machen Unterwassertonaufnahmen von Walen und Delphinen, sammeln Müll am Strand, kommunizieren und interagieren mit Umweltschutzorganisationen, Fischereiverbänden, Whale Watching-Bootsbetreibern vor Ort, und und und.... Die gesammelten Daten stellen sie NGOs oder diversen Forschungseinrichtungen zur Verfügung. Infos zu den beiden und ihrer Organisation ARVIRK OCEAN gibt es hier: http://arvikocean.org/
Begegnungen mit solch jungen, engagierten Menschen sind inspirierend, geben Hoffnung für die Zukunft und machen uns einfach froh. Außerdem bäckt Charly die besten Brownies, die wir je gegessen haben.
Das zweite Boot sind die überaus sympathischen Belgier Heidi und Las mit ihrer wunderschönen PAT PANICK. Wir sind im selben Alter und verstehen uns auf Anhieb. Die beiden wollen wie wir, bevor das Alter uns in die Schranken weißt, noch möglichst viele Segelabenteuer erleben. Sowas schweißt automatisch zusammen.
In Heimaey hat endlich ein Friseur Zeit für Robert! Zum Glück gibt es jede Menge netter Beisln und eine vorzügliche Brauerei, gut sortierte Supermärkte und ein Schwimmbad. Also, alles was eine Segelcrew für beschauliche Hafentage so braucht! Die Warterei auf Wetterfenster lässt sich gut aushalten.
An einem grauen Montagmorgen verlassen alle drei Schiffe gemeinsam den Hafen. Wieder steht eine alte heftige Dünung. Heidi und Las wollen auf die Orkneys, Guenola und Charly wollen wie wir, nach Stornoway in Schottland. Für einige Zeit sehen wir uns gegenseitig auf dem AIS und plaudern auf UKW aber bald steuert jede Yacht ihren eigenen Kurs und wir verlieren einander aus den Augen. Aber das ist eine andere Geschichte.